"Zweifeln kann ich supergut"

interview mit kirsten reinhardt

FRAGEN von salia Djelloul

 

2015 bekam ich zum ersten Mal Post von Salia. Sie hatte mein Buch "Die haarige Geschichte von Olga, Henrike und dem Austauschfranzosen" gelesen und wuchs zweisprachig mit Deutsch und Französisch nahe der französischen Grenze auf. Wir korresponierten über die Jahre immer mal wieder, vor allem, weil Salia selbst auch schreibt und mein Beruf sie interessierte. Inzwischen studiert sie Französische Literatur in der Nähe von Paris und hat  im Sommer 2020 für ein Seminar dieses Interview mit mir geführt...

 

Salia Djelloul: Was wolltest du als Kind beruflich immer werden?

Kirsten Reinhardt: Ich habe davon geträumt Schauspielerin zu werden, auf der Theaterbühne zu stehen und ein aufregendes Künsterinnenleben in der Großstadt zu führen. Lehrerin stand auch mal gaaanz kurz auf meiner Liste. Im Geheimen wollte ich Schrifstellerin werden, aber ich war damals überzeugt, die seien prinzipiell weltberühmt, uralt oder tot (wie Astrid Lindgren, Roald Dahl und Erich Kästner) – also habe ich lange nicht geglaubt, dass ich das jemals werde machen können.

 

War das Schreiben immer ein Teil deines Lebens?

Ja, sobald ich schreiben konnte, fand ich es faszinierend, dass ich mit diesen 26 Buchstaben alles, alles was ich will (!), aufschreiben konnte und dann war es in der Welt. Meine Eltern hatten eine Schreibmaschine, darauf habe ich in der Grundschule Mini-Geschichten geschrieben. Später habe ich diese Deutsch-Aufsätze geliebt, in denen man sich etwas Eigenes ausdenken konnte. (Ich habe immer gehofft, das meine Lehrerin sagt »Wow! Du solltest Bücher schreiben!« – hat sie aber nie). Tagebuch habe ich auch geführt (heute auch auch "Journaling" genannt), das war ein anderes Schreiben, nicht für andere, selbst für mich oft peinlich, aber ein gutes Werkzeug, um mit den eigenen Gedanken und Gefühlen umzugehen und mir die Welt zu erschreiben.

 

Hast du dein Studium mit der Idee gemacht, Schrifstellerin zu werden?

Ich habe Theaterwissenschaft, deutsche und amerikanische Literatur studiert, weil ich mich nicht getraut habe, die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule zu machen. Ich dachte wohl, dass ich mit so einem Studium nah an dem bin, was ich liebe. Zu der Zeit (1990er) konnte man noch lange herumstudieren, es gab nicht den Bachelor. Das hab ich also gemacht und dabei immer viel gelesen, ins Theater und ins Kino gerannt. Danach war ich nochmal auf einer Journalistenschule, weil ich mir dachte, vielleicht kann ich so mit Worten etwas Geld verdienen.

 

Mit welchem Beruf hast du angefangen?

Ich habe viele Jobs gemacht: Gekellnert, in einer Suppenküche Gemüse geschnitten, Schauspielern hinter der Bühne in die Kostüme geholfen, Kaffee zubereitet (jetzt nennt man es Barista).... Das Absurdeste war wohl, Leute zum Testen neuer Burgerkreationen einer Fast-Food-Kette zu bringen und ihnen beim Essen Fragen zum Produkt zu stellen (»Wie beurteilen Sie den Geruch dieses Burgers auf einer Skala von 1-10?«). Der coolste Nebenjob war vermutlich als Garderobiere im Echochamber, einem Club in Hamburg, Anfang der Nuller Jahre. Beim Bounce Club durfte ich die Jacken von Samy Deluxe und Fettes Brot aufhängen :). Meine erste und einzige Festanstellung war als Redakteurin in der Online-Redaktion der Tageszeitung taz.

 

Hast du dich schon mal in Frage gestellt wegen deines Schreibens? Warst du immer zufrieden, mit dem was du tust? Bereust du manche Sachen?

Ich stelle mein Schreiben oft in Frage und oft bin ich anfangs unzufrieden mit dem, was ich tue. Das ist ziemlich anstrengend und aufreibend, aber vielleicht ist es auch ein nötiger Motor, um Tieferes aus mir herauszuholen, genauer zu sein, Mist zu verringern. Natürlich frage ich mich oft Sachen wie: »Es gibt so viele Bücher, was hab ich noch beizutragen? Ist meine Perspektive überhaupt interessant? Was will ich sagen?« Aber dann denke ich, ich kann es eh nicht lassen und jeder Mensch hat doch einen einzigartigen Blick. Außerdem gibt es viel schädlichere Berufe als meinen… Was ich bereue? Wahrscheinlich, dass ich soviel Zeit mit Grübeln und Selbstzweifeln verbringe und so streng mit mir bin. Obwohl das wiederum vielleicht auch wieder nötig ist, für bestimmte Aspekte in meiner Arbeit, in meinen Figuren. Ich selbst finde ja auch die Figuren ehrlicher, bei denen nicht immer alles megatoll und einfach ist, sondern die, die hadern und zweifeln und kämpfen.

 

Bist du heute zufrieden, mit dem was du machst? Wenn es möglich wäre, würdest du etwas anderes machen? Etwas in deinem Lebenslauf ändern?

Ich bin sehr sehr sehr sehr sehr glücklich (auch wenn sich das in der letzten Frage vielleicht nicht so anhörte). Ich empfinde es als ein riesengroßes Privileg, dass ich das, was ich am liebsten tue, zu meinem Beruf machen konnte. Ich liebe die Freiheit, die meine Arbeit mit sich bringt und nehme die Kehrseiten (wenig Geld, ewiges Zweifeln, seltene Anerkennung, prekäre Verhältnisse, kaum Rente) dafür in Kauf. Ich liebe es, beim Schreiben in meinen Geschichten zu leben und freu mich, wenn es gelingt, dass ich anderen Menschen mit meinen Bücher etwas geben kann. Etwas ändern in meinem Lebenslauf würde ich lieber nicht – wir wissen ja aus vielen Filmen, dass solche Veränderungen in der Vergangenheit unberechenbar sind und schreckliche Dinge für die Gegenwart anrichten können…

 

Was ist deine größte berufliche Leistung?

Dass ich es überhaupt mache. Und weitermache. Denn es hat mich niemand darum gebeten, oder besonders ermutigt. Es war ein langer Weg, mir selbst die Erlaubnis dazu zu geben. Und, dass ich mich nicht verkaufe oder verbiege, dass ich nur an dem arbeite, was ich erzählen muss.

 

Kannst du vom Schreiben leben?

Meine Standartantwort (geklaut von Andreas Steinhöfel): Sehe ich irgendwie tot aus?  Kinder bei Lesungen wollen auch immer wissen, WIE reich und berühmt ich bin. Du kannst bei der Künstlersozialkasse nachgucken, was Schriftsteller*innen im Schnitt so einnehmen, ich glaube, das durschnittliche Jahresgehalt einer freiberuflichen Autorin liegt bei 10.000 Euro. Natürlich gibt es Ausnahmen wie J.K. Rowling – aber das sind eben Ausnahmen. Aber ja, ich lebe davon, das heißt von einer Mischung aus Text-Honoraren, Lesungen und Stipendien. Bisher hatte ich viel Glück, aber das kann sich jederzeit ändern.

Sagen wir so: Ich lebe für das Schreiben.

 

Was macht eine gute Schriftstellerin für dich aus? Gibt es Kriterien? Kann jede Schrifstellerin werden?

Eine gute Schiftstellerin? Puh… vielleicht Ehrlichkeit und Schonungslosigkeit mit sich selbst, Sensibilität für die Welt, für richtigen Worte und die Fähigkeit, anders und wild zu denken? Vielleicht macht jede auch etwas anderes aus? Ich mag es jedenfalls, als Leserin berührt und überrascht zu werden, zu denken »Wahnsinn! Das hätte ich nie so schreiben können, wie haben die das gemacht?« Ich liebe z.B. Bulgakow in dieser Hinsicht. Ob jede Schriftstellerin werden kann? Klar. Ich denke, das Schreiben kann für alle Menschen ein gutes Werkzeug sein, um sich klar zu werden – auch, um zu kämpfen. Konkret wünsche ich mir mehr echte Diversität im Kinderbuch und möchte auch gerne mehr deutsche Kinderbuchautorinnen mit internationaler Familiengeschichte lesen. Deren Geschichten und Perspektiven sind  für die Gesellschaft und unser aller Kinder extrem wichtig, sie haben eine enorme Vorbildfunktion.

 

Wer ist die erste Person, der du deine Arbeit vorstellst?

Mein Mann darf als Erster lesen und ich schätze seine Kritik sehr. Er denkt meistens von einer ganz anderen Richtung her, als ich. Meine Schwester ist auch eine wichtige Leserin, sie liest unschlagbar gut, noch mit ihrem Kinderherzen. Inzwischen sind auch meine eigenen Kinder strenge Kritiker*innen für mich.

 

Warum stehst du morgens auf?

Ich stehe manchmal um 6:30 Uhr auf, wenn der Wecker meiner Schulkinder klingelt ...

Ich stehe auf, wenn mir einfällt, was ich am Tag vorhabe und mir diese Dinge spannender vorkommen, als meine Träume...

Oder wenn ich es nicht erwarten kann, ins Schreiben zu kommen und mich die Geschichte ruft.

Am liebsten würde ich viel viel viel mehr und länger schlafen.

Es lebe der Schlaf!

 

Was magst du am meisten an deinem Job?

Die Freiheit! Die Freiheit der Arbeitszeiten. Die Freiheit im Tun. Das Gefühl, wenn ich im Schreiben versinke, Raum und Zeit vergesse und nur in meinem Text existiere, mit meinen Figuren, Stimmungen, Geschichten, Worten… das ist wie Spielen, als Kind.

 

Wie würdest du einem Kind deinen Arbeitstag beschreiben?

Ich sitze am Schreibtisch, ich gehe und grüble. Beim Schreiben versinke ich total. Ich liege aber auch herum und lese. Zeichnen tu ich auch, meine Figuren zum Beispiel. Wenn ich zu lange gearbeitet habe, seh ich nach, was im Kühlschrank ist oder koche Kaffee. In einer akuten Schreibphase habe ich immer mein Notizheft dabei. Da hinein kommt alles von Recherchen, über Ideen, Wörter, Traumfetzen... Ich gehe allein spazieren und spreche dabei manchmal mit mir selbst – oder mit dem Meer (ich fahre für jedes Buch mindestens einmal alleine ans Meer, zum Arbeiten). Ich muss überhaupt viel allein sein. Viel lesen und anders aufnehmen, innerlich bauen und die Figuren wachsen lassen. Erst dann schreibe ich.  Manchmal fetze ich auch ein schnelles Gedicht herunter, wenn es herauswill. Wenn ein Buch fertig ist, gehe ich auf Reisen und lese Kindern aus den Büchern vor. Neuerdings bin ich manchmal auch auf Theaterproben und schreibe da – das ist toll. Sehr oft schreibe ich auch gar nicht, sondern stresse mich, zweifle (hab ich schon erwähnt, dass ich das supergut kann?) und denke nach, denke nach, denke nach...

 

Hast du einen Lieblingsplatz zum Schreiben? Was brauchst du zum Schreiben?

Ich liebe meinen winzigen Schreibtisch, den ich 2003 bei einem Trödler gekauft habe. Manchmal bilde ich mir ein, ich bräuchte bestimmte Dinge und alles müsste genaus so und so sein, sonst könnte ich un-mö-glich schreiben! Das kann mal ein ganz bestimmter Grüner Tee sein, Kaffee der nur eine bestimmte Stärke haben darf, eine bestimmte Routine… aber eigentlich ist das alles Arbeitsverhinderungsquatsch. Wenn ich aber erstmal richtig begonnen habe, wenn der innere Schreibraum da ist und wenn das Herz der Geschichte begonnen hat zu schlagen, dann ist alles egal – dann kann ich sogar im Zug schreiben oder auf einer Bahnhofsbank. Dann schreibe ich eigentlich die ganze Zeit – im Kopf.

 

Was ist dein Lieblingszitat?

Ein Lieblingszitat habe ich nicht, aber neulich fiel mir eins von Erich Kästner ein, dass ich als Kind überhaupt nicht verstanden habe »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.« Ich mag es, wenn mir nach 30 Jahren plötzlich ein Licht aufgeht…

 

Was würdest du einer jungen Schrifstellerin empfehlen?

Lesen. Lesen, lesen, lesen, lesen, lesen, lesen, lesen, lesen, lesen und nochmal lesen. Keine Angst haben. Mutig sein. Aufstehen. Weitermachen.

 

 August 2020